Fati Coulibaly
Fati Coulibaly, 2. v. links.

Fati Coulibaly (2. von links).

Versuch der Rekonstruktion einer Lebensgeschichte anhand von Interviews

Während unseres Aufenthalts im Januar 2014 interviewten wir einige der neuen Bewohnerinnen des Zentrums Jigiya Bon, unter ihnen Fati Coulibaly. Sie war zu diesem Zeitpunkt neun Jahre alt, ging in die zweite Klasse und demonstrierte uns eindrucksvoll, was Resilienz bedeutet. Sie hat Traumatisches erlebt und ist trotzdem ganz klar, lebensbejahend und beziehungsfähig. Fati lebt seit September 2013 im Zentrum Jigiya Bon. Sie wurde von einer Frau aus Gao (eine der Städte, die während der islamistischen Besetzung des Nordens Malis von kriegsähnlichen Zuständen heimgesucht worden war) zu uns gebracht. Die Frau gab an, mit ihrem eigenen Sohn, Fati und deren kleinem Bruder Balla geflohen zu sein.  Die Frau berichtete weiter, Fatis Vater, ein Uniformierter, sei im Kampf mit den Islamisten im vorigen Jahr umgekommen. Sie sei eine Nachbarin, habe auf demselben Hof wie Fatis Familie zur Miete gewohnt.

Am Tag ihrer Flucht seien die Terroristen um sich schießend auf den Markt gefahren und die Menschen hätten  in Panik versucht zu fliehen. Es wird vermutet, dass Fatis Mutter von den Besetzern verschleppt wurde. In diesem Durcheinander habe sie das Mädchen mit ihrem jüngeren Bruder Abdou über den Hof laufen sehen, habe sich  die beiden und ihren eigenen Sohn geschnappt und sei mit ihnen im Bus nach Bamako gefahren. Mit ihren Ersparnissen von 10.000 FCFA (15.00€) konnte sie die Bustickets bezahlen.
In Bamako wurden sie als „Deplazierte“ (Flüchtlinge innerhalb der Landesgrenzen) im Stadtteil Banconi in einer Schule untergebracht. Später wohnte sie mit den drei Kindern in einem Zimmer und hielt sich mit Wäschewaschen etc. über Wasser. Als ihr jemand von unserem Mädchenzentrum erzählte, brachte sie Fati Anfang September 2013 zu Jigiya Bon, Balla behielt sie bei sich.

Die Leiterin von Jigiya Bon besuchte die Frau noch einmal und traf sie auch an, doch beim nächsten Versuch war sie ohne eine Adresse zu hinterlassen mit den beiden Jungen verschwunden.

Fati war anfangs sehr unruhig, als dürfe sie nichts verpassen, wie aufgedreht, sprach weder Bambara noch Französisch, weshalb sie  in die erste Klasse eingeschult wurde. Ihr Alter wurde auf 9 Jahre geschätzt. Beeindruckend war, dass sie sich – bei aller Unruhe – vollständig auf ihre Hausaufgaben konzentrieren konnte!

In der Hoffnung, mehr über den Verbleib von Fatis Familie herauszubekommen, befragten wir Fati wahrend des Interviews im Januar 2014  nochmals zu den Lebensumständen der Familie in Gao. Sie erinnerte sich an den Vater, der wie von der Frau beschrieben ein Uniformierter gewesen sei und vor dem verlassen des Hauses ein längliches metallenes Gewehr aus dem Schrank genommen und seine Tasche gesteckt habe. Sie hat zwei Brüder: Balla, der mit nach Bamako kam und etwa 4 oder 5 Jahre alt ist und einen noch jüngeren Bruder, Aboudou. Sie berichtete vom Leben der Hofgemeinschaft, in der ihre Familie wohnte und von ihren Tanten, die ebenfalls in der Stadt lebten. Sie erinnert sich gut an die Lage des Hofes an einer kleinen baumbestandenen Straße in der Nähe eines Müllhaufens, den Blick auf eine Moschee und Geschäfte auf der anderen Straßenseite. Auch die Nachbarn aus der Hofgemeinschaft und die Inhaber der Geschäfte in der Umgebung waren ihr noch präsent.

Ein Bekannter unseres Mitarbeiters Goussou Togo, der auch aus dem 5. Bezirk in Gao stammt, dort – wie er sagt – „jede Familie“ kennt und ebenfalls wegen der Krise nach Bamako kam, schlug vor, Gaoussou solle mit Fati nach Gao fahren, ihre Erinnerung und seine Familie dort würden helfen, Familienmitglieder von Fati zu finden.

Anfang März 2014 besuchte uns Dr. Sophie Petronin, Ärztin und Leiterin der ASSOCIATION D’AIDE A GAO (Hilfsorganisation für Gao), eine dem Roten Kreuz ähnliche Struktur, zusammen mit einem Mitarbeiter. Sie sprach zunächst mit Fati und klärte uns dann auf, dass das von Fati beschriebene Umfeld nicht der 5. Bezirk von Gao sein könne, sondern der Stadtteil Bellabougou. Sie riet von einer Reise nach Gao ab, es sei zu gefährlich für Gaoussou und Fati, denn Gao sei eine Phantomstadt geworden und es gäbe immer wieder Attacken. Sie versprach, sich vor Ort mit ihren Mitarbeitern auf die Spurensuche zu machen…
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